Tonscherbe nicht datiert Torre Guaceto, Apulien

Torre Guaceto und die Bronzezeit in Apulien

Die Bronzezeit in Apulien.

Torre Guaceto.

Wer hat im 15. Jahrhundert vor Christus die küstennahen Dörfer angezündet?

Waren die Mykener Freunde und Handelspartner oder Feinde und Eroberer?

Wie kann man archeologische Forschungsergebnisse sichtbar machen ohne das Publikum zum Sterben zu langweilen?

Das schöne an der Arbeit im Tourismus ist, dass ich mich ständig weiterbilden darf. Zum Beispiel in Archäologie, genauergesagt den Funden aus der Bronzezeit im Gebiet des Naturschutzgebietes von Torre Guaceto.

Neulich war wieder so ein Fortbildungstag, und wir durften den ganzen Tag Dr. Teodoro Scarano lauschen, der seit 2007 die archäologischen Untersuchungen in Torre Guaceto und Apani leitet. So ein Privileg ist selten und wertvoll, da ist es nur fair, wenn ich die neugewonnenen Erkenntnisse in einen Artikel packe.

Torre Guaceto: nicht nur Pflanzen und Tiere

Torre Guaceto ist mittlerweile auch international als Naturschutzgebiet bekannt, als wichtiges Vogelschutzgebiet, als riserva marina und als Ort zauberhafter kleiner Buchten mit herrlichen Sandstränden.

Weniger bekannt ist, dass es im Küstenabschnitt von Torre Guaceto und dem etwas südlicher gelegenen Apani nur so wimmelt von Zeugnissen, die nach aktuellem Stand bis in die Bronzezeit zurückreichen.

Auf die Frage, ob es denn schon eine frühere Besiedlung, also vor dem 3. Jahrtausend vor Christus, in der Gegend gegeben hätte, zuckt Scarano mit den Schultern: es kann gut sein, sagt er, es ist sogar ziemlich wahrscheinlich, aber bis jetzt wurde noch nichts in dieser Richtung gefunden – einfach weil noch niemand danach gesucht hat.

Offiziell zumindest.

Wir bekommen also Informationen zur Bronzezeit, dem Spezialgebiet von Dr. Scarano.

Seit 10 Jahren laufen die archäologischen Forschungen an dem Küstenabschnitt nördlich von Brindisi.

Es begann mit einer Untersuchung über die sogenannten geo-archäologischen Marker: Geologische, natürliche und/oder archäologische Elemente, die Hinweise darauf geben, wie sich die Küstenlinie in den letzten Jahrtausenden verändert hat.

Man fand heraus, dass der Meeresstand vor drei- bis viertausend Jahren mindestens drei Meter niedriger lag als jetzt, und die Küstenlinie ein gutes Stück meereinwärts gelegen haben muss.

Das Küstensystem als solches, das heißt Dünen, dahinter ein flacherer, sandiger Gürtel und dahinter wiederum Sumpfgebiet bzw. die Macchia, hat sich wohl nicht besonders stark verändert. Das, was wir heute noch in Torre Guaceto als Küstensystem sehen können entspricht ziemlich genau dem Umfeld, das sich die Bewohner der Bronzezeit als Lebensraum gewählt hatten, nur eben weiter landeinwärts.

Dementsprechend waren die fünf kleinen Inselchen, die vor Torre Guaceto und Apani liegen, höchstwahrscheinlich damals keine Inseln, sondern die höher gelegenen Teile eines Küstenvorsprungs, hinter dem sich in Lagunen Meerwasser und das Süßwasser aus den Wasserläufen sammelte und vermischte.

Schon auf dem heutigen Küstenvorsprung, auf dem der mittelalterliche Turm von Guaceto steht, kann man bronzezeitliche Spuren erkennen: die Löcher im Felsen, in die die Pfähle der bronzezeitlichen Hütten eingepasst wurden.

Auf einem der Felsen vor Apani konnte man jedoch nicht nur Pfahllöcher ausmachen, sondern archäologisches Material im gesamten Querschnitt der Insel offen sehen, freigelegt durch die Erosion des Meeres.

Die Wahl für die ersten Augrabungen fiel also auf den Felsen von Apani, stark von Erosion bedroht, schwieriger zugänglich, aber auch weniger exponiert als das stärker frequentierte Torre Guaceto.

Die Bronzezeit in Apulien

Wir können uns das Apulien der Bronzezeit in etwa so vorstellen: große Teile des Landes waren bestanden von Eichenwäldern und der Mittelmeer-Macchia.

Die Menschen wohnten bevorzugt an der Küste in befestigten Dörfern aus Rundhütten aus Holz, Schilf und Lehm, vor allem dort, wo Wasserläufe aus dem Landesinneren ins Meer flossen.

Zum Schutz und vielleicht auch aus Gründen der Machtdemonstration waren die Befestigungsmauern wuchtig und hoch: in Roca Vecchia z.B. war die Mauer bis zu 23 Meter dick bei einer Höhe von 10 Metern.

Die Lebensgrundlage bildete die Jagd auf Wild (Hirsche, Rehe, Wildschweine, Hasen), die Viehhaltung (Ziegen, Schafe, Rinder und Schweine), das Sammeln von Wildgetreide, Eicheln, Früchten usw. sowie der Ackerbau und Fischfang.

In Apani fand man zahlreiche Muschelschalen, und in Roca gelang es tatsächlich, ein paar Fischwirbel zur Bestimmung der Speisefische zu finden: man speiste Goldbrasse (Dorade).

Aus Holz, Horn, Knochen, Steinen und Muschelschalen wurden Werkzeuge, Schmuckstücke und Gebrauchsgegenstände hergestellt.

Gefäße wurden aus einer Tonmischung gefertigt: dem Ton wurden andere Materialien beigemischt, um ihm eine bessere Plastizität und Stabilität zu verleihen. Das können Pflanzenteile wie Stroh, Blätter oder Samen gewesen sein oder auch Minerale wie Sand, Muschelbruch, Steinbröckchen oder Keramikstücke.

In den insgesamt vier Ausgrabungskampagnen auf den Felsen von Apani entdeckten die Archäologen Reste von drei bronzezeitlichen Hütten samt Inhalt und eine massive Befestigungsmauer, datierbar auf die mittlere Bronzezeit, d.h. zwischen 1700 und 1300 vor Christus.

Das Dorf war offensichtlich von einer mindestens drei Meter hohen und bis zu zehn Meter dicken Mauer umgeben. Auf der Innenseite der Mauer folgte ein geschotterter Weg und dann eine freie Fläche vor den Hütten.

An den Pfahllöchern im Felsen kann man ablesen, dass die Hütten rund bzw. oval angelegt und mit 70 bis 100 Quadratmetern ziemlich groß waren.

Auf dem Boden befanden sich mehrere Feuerstellen mit Tonplatten, davon eine – die einzige bisher in Italien gefundene – mit dekoriertem Rand. Neben den Feuerstellen gab es Vertiefungen für die Asche, und man fand verschiedene Tongefäße (zum Aufbewahren von Flüssigkeiten und Vorräten, zum Kochen, zum Schöpfen usw.) sowie zahlreiche Werkzeuge und Schmuckgegenstände aus Stein, Horn und Knochen.

Zum Kochen zündete man zunächst ein Feuer auf den Kochplatten an. Wenn die Platte schön heiß war, schob man die Asche zur Seite in die Vertiefung im Boden und konnte nun  Focaccia backen oder Steaks braten.

Die bronzezeitliche Hausfrau hat ihre Focaccia zubereitet, indem sie Mehl aus wildem Getreide oder aus Eicheln mit Wasser verknetete und dann als Fladenbrot auf dem heißen Stein buk.

Diese Art Brot war ein universelles Nahrungsmittel und existiert übrigens als kulinarisches Fossil in manchen kleinen Bäckereien im Südsalent noch heute, wo man sie als pitteddhre verkauft.

Auf jeden Fall wurden in der Bronzezeit Schweine und Rinder gehalten (die Steaks!), und ein Milchkochtopf aus Terracotta zeugt davon, dass man bereits vor dreitausend Jahren die frische Milch „pasteurisierte“. Terracottatöpfe dieser Art, mit einer Reihe von Löchern im Rand und im Deckel, verwendeten die Frauen übrigens bis ins letzte Jahrhundert in den apulischen Haushalten zum Pasteurisieren der Milch.

Um die Feuerstellen herum fand man die Reste von Mahlzeiten (Knochen von Wild und Muscheln).

Wieso brannten die Dörfer nieder?

Zur Freude der Archäologen und Paläobotaniker fand das Dorf in Apani ein plötzliches Ende: es wurde von einem Feuer zerstört. Das konnte immer wieder einmal vorkommen, denn die Hütten waren aus Schilf und mit Pflanzenteilen vermischtem Lehm gebaut und hatten ein Dach aus Pflanzenfasern. Bei Funkenflug fingen sie leicht Feuer.

Es deutet allerdings viel darauf hin, dass der Brand im 15. Jahrhundert v. Chr. nicht zufällig ausbrach.

Fast alle anderen küstennahen Siedlungen der Bronzezeit brannten nämlich zur gleichen Zeit nieder, und in Roca Vecchia (der Traum eines Archäologen aufgrund der Zahl und des guten Zustands der bronzezeitlichen Funde) fanden die Wissenschaftler nicht nur Zeugnisse eines Feuers, sondern auch kriegerischer Auseinandersetzungen.

Wir können also davon ausgehen, dass das Dorf in Apani niedergebrannt wurde.

Diese Tatsache beantwortet zahlreiche Fragen und wirft mindestens genauso viele neue Fragen auf.

Zum einen hilft das jähe Ende den Archäologen, die Bronzezeit besser studieren zu können. Ohne das Feuer wäre alles organisches Material unverbrannt im Laufe der Zeit verrottet, durch das Verkohlen jedoch wurde es haltbar gemacht.

Der mit Pflanzenresten vermischte Lehm, mit dem die Hütten verkleidet waren, wurde gebrannt und fiel zu Boden. Alle in ihm enthaltenen Samen, Stiele, Blätter und sonstige Pflanzenteile wurden konserviert und konnten von Wissenschaftlern untersucht werden.

Die Menschen flohen vor dem Feuer und ließen alles stehen und liegen – und die Gegenstände des täglichen Lebens blieben konserviert. Wir bekommen also quasi eine Momentaufnahme aus dem Leben in der Bronzezeit in Apulien.

Gleichzeitig stellt sich natürlich die Frage: wie brach der Brand aus, von wem wurde er verursacht und warum?

Es deutet einiges darauf hin, dass sich um das 14. Jahrhundert v. Chr. die lokalen Machtverhältnisse und Sozialstrukturen massiv veränderten und zahlreiche Kriege geführt wurden.

Die Mykener: Freund, Handelspartner oder Feind?

Eine Hypothese, die von den Archäologen diskutiert wird, ist die mögliche Rolle der Mykener bzw. der Bewohner des griechischen Festlandes bei diesen Umstürzen.

Zahlreiche Funde von griechischer Keramik in Apulien deuten darauf hin, dass zwischen Apulien und Griechenland in der Bronzezeit schon vor 1500 v. Chr. intensive Handelsbeziehungen bestanden, und offenbar auch intensive kulturelle und soziale Beziehungen. Man vermutet, dass zumindest zeitweise mykenische Gruppen in Apulien gelebt haben.

Dann kommt die Phase im 14. Jahrhundert v. Chr., in der eindeutig kriegerische Auseinandersetzungen stattgefunden haben. Kippte das Kräfteverhältnis zugunsten der Griechen? Waren andere Bevölkerungsgruppen an den Kämpfen beteiligt? Wurden die lokalen Eliten von anderen Bevölkerungsschichten herausgefordert und bekämpft?

Das ist ein Thema, bei dem die Forschung noch wenig Erkenntnisse besitzt und an dem unter anderem Dr. Scarano intensiv in Roca Vecchia forscht. Er erhofft sich von der Analyse der dort gefundenden menschlichen Überreste neue Hinweise über die an den Kämpfen beteiligten Gruppen.

Fakt ist, dass Funde darauf hinweisen, dass sich die Beziehungen zu den Mykenern nach den Kriegen noch verstärkten und mit großer Sicherheit mykenische Gruppen fest in Apulien siedelten. Es scheint allerdings keine Eroberung stattgefunden zu haben, denn die lokale Bevölkerung blieb nach wie vor nachweisbar ansässig.

Ich muss gestehen, dass ich von den Ereignissen ziemlich gefesselt wurde und die Frage nach dem Motiv und dem Täter extrem spannend finde.

Das ist natürlich in erster Linie den exzellenten Ausführungen von Dr. Scarano zu verdanken, der schlicht in Fleecepulli und Arbeitsschuhen auf einem Hocker sitzend fast dreitausend Jahre alte Ereignisse lebendig werden lassen kann.

Wie kann man archeologische Forschungsergebnisse sichtbar machen ohne das Publikum zum Sterben zu langweilen?

Aber wir hatten mit Dr. Scarano nicht nur einen leidenschaftlichen Ausgrabungsleiter und Forscher, sondern auch einen Experten in der Weitergabe wissenschaftlicher Erkenntnisse mit innovativen Mitteln. Nach eigenen Worten findet sogar er als Archäologe die meisten Museen langweilig, vor allem die italienischen.

Gegenstände, die ihres historischen Zusammenhanges beraubt werden und auf klein bedruckten Anzeigetafeln nur mit Nummer, Fundort und Alter beschrieben werden, verlieren seiner Meinung nach völlig ihren tatsächlichen geschichtlichen Wert.

Deshalb experimentiert er mit innovativen Technologien von 3D-Rekonstruktionen bis hin zu Erweiteter Realität auf der einen Seite und praxisbezogenen Workshops auf der anderen Seite.

Dem Besucher, das kann eine Gruppe von Schulkindern genauso sein wie eine Gruppe von Touristen, soll die Möglichkeit gegeben werden, entweder virtuell in die Vergangenheit einzutauchen, oder Aspekte des Alltags wie Kochen, Werkzeugherstellen oder Töpfern live auszuprobieren.

Wer Lust hat, sich auf diese Weise mit experimenteller Archäologie in Apulien zu beschäftigen, kann sich hier weiter informieren:

Terracunta organisiert verschiedene Workshops, z.B. Ausgrabungssimulationen, vorgeschichtliche Kunst, Protohistorische Architektur, Keramik.

Okra ist ein experimenteller Archäologiepark bei Otranto. Der Alltag der frühzeitlichen Menschen wird hier dem Besucher spielerisch und didaktisch ansprechend nähergebracht, auch hier werden thematische Workshops und Events angeboten.

Vivarch ist ein Verein, in dem verschiedene apulische Organisationen zusammenarbeiten und Exkursionen, Führungen, Workshops und Open-Labs anbieten.

Thalassia ist der geeignete Ansprechpartner, wenn Du mehr über die Bronzezeit in Apulien im Allgemeinen und vor allem die Geschichte von Torre Guaceto und Apani erfahren möchtest (und z.B. von mir geführt werden möchtest, pfeif….)

 

 

 

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