Die mittelalterliche Kirche Santa Maria del Casale in Brindisi
So mag ich Recherche: erst eine kostenlose, gut gemachte und hochinteressante Führung in der Kirche Santa Maria del Casale und anschließend noch Erfrischung mit Kräutertees und Keksen im angrenzendem Kreuzgang. Die Führung wurde von einer Bank gesponsert und von Punto Cultura Snc veranstaltet, einem kleinen aber feinen Tourismus-Unternehmen aus Brindisi, gegründet 2008 von drei jungen Frauen in der Absicht, das vielschichtige kulturelle Erbe Apuliens, „die verborgenen Schätze in den Bibilotheken, das gehütete Wissen in den Archiven, die Kirchen, Palazzi und Monumente zusammen mit den Traditionen, der Folklore und der Gastronomie“ (Zitat Webseite) dem Besucher nahe zu bringen und zugänglich zu machen.
Unsere Führerin Annamaria hat das Kunststück fertiggebracht, uns die Kirche in allen Einzelheiten vorzustellen und alle Fresken einzeln zu erläutern (!), so einfach, klar verständlich und auf inhaltlich hohem Niveau, dass die ganze Gruppe die ganze Zeit über konzentriert bei der Sache blieb (und ohne dass ich im Geiste anfing abzuschweifen und Einkaufslisten aufzustellen oder das Abendessen zu planen 😉 ).
Die Geschichte der Kirche ist wechselhaft und spannend: Santa Maria del Casale wurde Ende des 13. bzw. zu Beginn des 14. Jahrhunderts erbaut, der genaue Zeitpunkt ist umstritten. Höchstwahrscheinlich gab es bereits vor der Erbauung der Kirche eine kleine Kapelle zu Ehren der Jungfrau des Casale (Name eines Stadtteils von Brindisi) an der gleichen Stelle. Philip I., Prinz von Tarent, errichtete die Kirche (soweit die geschichtlichen Tatsachen) um Vater eines Sohnes zu werden (so will es die Legende) – und das Gelübde ging in Erfüllung.
Auf dem Weg ins Heilige Land und auf dem Rückweg von den Kreuzzügen kamen zahlreiche Kreuzritter hier vorbei um die göttliche Gunst zu erbitten und/oder um sich und ihre Geschichte mit der Darstellung in den Fresken der Kirche zu verewigen.
1310 wurde die Kirche Sitz einer der Kanzleien im Prozess gegen die Tempelritter, wo Dokumente gesammelt wurden und Verhöre stattfanden. An mancher Stelle liest man, gleich der gesamte Templer-Prozess habe in Brindisi stattgefunden, aber das entspricht wohl nicht der Wahrheit.
1311 gewährte als Papst Klemens V. all denen den Ablass der Sünden, die am Weihetag der Jungfrau, dem 8. September, die Kirche S. Maria del Casale besuchten. Seitdem ist die Kirche Wallfahrtsort für Pilger – und ist es bis heute.
Im 16. Jahrhundert wurde der Komplex von Franziskanermönchen um das Kloster und den Kreuzgang erweitert, der ursprünglich mit der Kirche verbunden war. Diese Verbindung wurde aber, genauso wie die barocken Altäre, mit der man die Kirche im 17. Jahrhundert „aufgerüstet“ hatte, zu Beginn des 20. Jahrhunderts entfernt, als man meinte, den „originalen“ Zustand der Kirche wiederherstellen zu müssen. Das erlaubt es nun zum einen, die anfängliche romanisch-gotische Struktur in aller Klarheit bewundern zu können, zum anderen wurden allerdings alle späteren kulturellen Zeugnisse zerstört. Von den barocken Altären sind nur noch alte Photographien erhalten.
Auch der Heilige Franziskus kam in S. Maria del Casale vorbei und übernachtete hier. Als er am nächsten Morgen aufwachte, so die Legende, hatte eine Spinne ihr Netz über das Gesicht der Jungfrau Maria gesponnen. S. Francesco sprach darauf die Spinne freundlich an und machte ihr klar, dass das Netz an dieser Stelle ausgesprochen unpassend sei, und sie es doch bitte entfernen möge. Die Spinne soll seiner Bitte umgehend nachgekommen sein.
Ab dem 17. Jahrhundert erlebte die Kirche trübe Zeiten: während der Pest wurden die Fresken mehrmals mit Kalk übertüncht, 1811 wurde sie als Kaserne für durchreisende Soldaten benutzt, später im 19. Jahrhundert wurde ein Verkauf der Kirche an Private, und damit die Umfunktionierung in eine Weinkellerei, gerade noch verhindert und erst 1875 wurde sie zum Staatsdenkmal erklärt. Während des 2. Weltkrieges wurde S. Maria del Casale aufgrund ihrer Nähe zum Flughafen als Militärdepot benutzt, und eine Dame aus unserer Gruppe erzählte, dass noch Anfang der sechziger Jahre, als sie mit der Schule die Kirche besuchte, das Dach fehlte und im Inneren der Kirche die Schafe weideten.
Seit Ende der Sechziger Jahre wurde die Kirche mehrfach restauriert, zum letzten Mal 2006.
Aber nun zum Bau selbst. Architektur und Ausschmückung der einschiffigen Kirche sind eine faszinierende Mischung aus Romanik und Gotik, und eine Besonderheit fällt sofort ins Auge: die zweifarbige Fassade aus goldenem Carparo und weißem Stein aus Carovigno (beides lokale Kalksteine) mit orientalisch anmutenden geo- metrischen Mustern, die sie einzigartig macht in ihrer Art. Besonders ist auch der große Baldachin über dem Portal mit dem dreipässigen Bogen. Der Baldachin wird nicht, wie sonst üblich, von Säulen oder Pfeilern gestützt sondern ist freischwebend. In seinem Giebel spiegeln sich die Blendbögen der Fassade mit ihrer feinen Leistenrahmung wieder.
Das Kircheninnere war früher ganz mit Fresken ausgemalt, von denen noch viele erhalten geblieben sind. Reiseführer erwähnen im Besonderen, zu Recht, die Darstellung des Jüngsten Gerichts von Rainald von Tarent an der inneren Eingangswand.
Das Fresko teilt sich in vier Ebenen, auf den unteren beiden wird das Paradies (auf der linken Seite) und die Hölle (auf der rechten Seite), auf der zweiten Ebene die Symbole der Passion und die Engel dargestellt, die die Seelen der Toten auferwecken, die ganz dramatisch auf der linken Seite den Mäulern der Landtiere entfleuchen und auf der rechten Seite aus dem Meer und den Mäulern der Fische. Auf der letzten Ebene, die leider die am meisten beschädigte ist (und die man aufgrund meiner beschränkten photographischen Mittel am schlechtesten erkennen kann), befindet sich die über alles triumphierende Kirche mit den Aposteln und vermutlich in der Mitte Jesus als Richter.
Zu den beeindruckendsten Fresken gehört auch der Kreuz- oder Lebensbaum auf der linken Seite des Kirchenschiffs, der den gekreuzigten Jesus an einem Baum (anstatt am Kreuz) darstellt. Die Äste des Baumes repräsentieren zwölf weiße Schriftrollen und in den Medaillons rechts und links des Baumes sind die zwölf Apostel dargestellt. Im Rahmen des Freskos sind zahlreiche Wappen abgebildet, so z. B. die überkreuzten Schlüssel des päpstlichen Wappens am oberen Rand.
An manchen Stellen der Kirche sieht man, dass mehrere Schichten von Fresken übereinander gemalt wurden, so dass sich die Darstellungen überlagern.
Diese Kirche ist wirklich ein Juwel an Farben und Schönheit, kein Wunder, dass dort viel geheiratet wird und sie Pilgerziel ist. Dazu kommt noch der Kreuzgang mit den wunderschönen mannshohen Rosen und der parkähnliche Garten der Klosteranlage.
Einziger Nachteil: die Verkehrsanbindung. S. Maria del Casale liegt unmittelbar neben dem Flughafen, d.h. etwas außerhalb der Stadt. Wenn man kein Auto hat oder nicht von der Stadt mittels Motobarca und 2-3 km Spaziergang herlaufen möchte, kann man allerdings den Flughafenbus nehmen und hat nur noch ein kleines Stück zu gehen.
Wo wir so schön im Thema sind, will ich Ihnen, als Ergänzung die kurze Beschreibung von S. Maria del Casale von brindisiweb.it nicht vorenthalten:
Die Kirche Santa Maria del Casale, in der Nähe des Flughafens, ist ein glänzendes Beispiel für den romanisch-gotischen Stil des 13. Jahrhunderts. Nationaldenkmal seit 1875, besitzt sie eine elegante Fassade aus Blöcken aus Carparo und weißem Stein mit einem Portal, das ein freischwebender geschmückter Baldachin überragt.
Das Innere, einschiffig in Form eines lateinischen Kreuzes, beherbergt einen Zyklus wertvoller byzantinischer Fresken, die im letzten Jahrhundert wiederentdeckt wurden, nachdem sie für mehr als zwei Jahrhunderte unter einer Kalkschicht und hinter barocken Altären verborgen gewesen waren: Auf der inneren Eingangswand „Das Jüngste Gericht„, ausgeführt in vier Unterteilungen von Rainald von Tarent; auf der linken Wand „Der Kreuzbaum„, mit zwölf Ästen, die die Apostel symbolisieren und dem Wappen der Stadt Brindisi, „Die Verkündung„, „Die Allegorie der Lilie von Anjou„, „Die Jungfrau vor Rittern„, „Die Jungfrau mit Kind und Heilige„; im Presbyterium „Die Geschichten der Passion„, „Die Kreuzabnahme„, „Christus im Grab„, „Maria am Grab„, „Hochzeit zu Kana„, „Abendmahl„, „Pfingsten„; in der Apsis „Christus auf dem Thron zwischen Engeln„, „Die Geburt Jesu„, „Die Kreuzigung„; im Querschiff „Mariä Verkündigung„, „Geschichten der Hl. Katharina“ und „Madonna mit Kind„. Bedeutend sind auch die Wappenbilder der Auftraggeber für das Studium der mittelalterlichen Heraldik.
Im Inneren befindet sich eine Marmorsäule mit Kreuz aus dem 9. Jahrhundert, die der Hosanna-Tradition zugeschrieben wird.
Im Mai 1310 ließ sich hier das Gericht nieder, das von Papst Klemens V. einberufen worden war, um über den Orden der Tempelritter zu richten, der zwei Jahre darauf nach dem Urteilsspruch per per päpstlicher Bulle aufgehoben wurde.
Die Bauarbeiten für den angrenzenden Kreuzgang und das Kloster wurden von den Minoriten begonnen und vom Orden der Minderen Brüder (beides Franziskanerorden) zwischen 1635 und 1638 beendet.