Wie ich Apulien entdeckt habe…

Diesmal darf ich mich selber zitieren 🙂 Der Herausgeber der Schweizer Zeitschrift Inews (damals: Italiannews) hatte mich 2011 gebeten, einen Artikel für die Juniausgabe zu schreiben, und hat ihn auch veröffentlicht (nochmal Danke an dieser Stelle). Leider konnte ich das PDF-Dokument damals nicht angemessen verlinken, und mittlerweile ist die online-Ausgabe des Magazins nicht mehr auffindbar, deshalb habe ich den Text noch einmal als eigenen Artikel hier bei mir veröffentlicht.

Hier also der autobiographische Bericht, wie ich Apulien entdeckt habe:

Wie habe ich Apulien entdeckt? Ganz einfach: über ein Erasmus-Programm mit der Uni Florenz. Moment, werden jetzt viele sagen, bis vor kurzem war doch Florenz noch in der Toskana, und man hätte es doch gehört, wenn sich da was geändert hätte. Stimmt. Florenz ist in der Toskana und von Brindisi in Apulien ca. 650 km weit entfernt (Luftlinie) und eigentlich haben die beiden Städte so wenig gemeinsam, dass sie auf zwei verschiedenen Planeten liegen könnten. 1995/1996 begab es sich aber, dass ich bei der Zimmersuche in Florenz auf eine wunderschöne Wohnung stieß, in der ein Doppelzimmer an ausländische Studentinnen vermietet wurde. Restbesatzung der Wohnung: drei Architekturstudenten aus Brindisi. Ja, eins und eins macht zwei und wir haben tatsächlich geheiratet und mittlerweile zwei Kinder. Und leben in Brindisi.

Das erste Mal bin ich Ostern 1996 mit dem Zug von Florenz über Bologna „runter“gefahren. Nachtzug, Liegewagen, mit den Heimfahrern aus Mailand, erschöpft von der Arbeit und selig schnarchend. Ich fahre aus Zeitgründen schon lange nicht mehr mit dem Zug, aber eigentlich ist das schade, denn gerade wenn man früh am morgen aufwacht, fährt der Zug noch an der Küste von Abruzzen und Molise entlang und man kann sehen, wie sich das Licht und die Farben ändern, sobald Apulien anfängt.

Olivenhain an der Zugstrecke Brindisi-Carovigno
Olivenbäume an der Zugstrecke Brindisi-Carovigno

Das Meer und die Felsen und die Bäume, alles beginnt zu leuchten in dem klaren Licht der Mittelmeersonne, und wenn der Zug bei Ostuni durch silberglänzende Olivenhaine fährt, umgeben von roter Erde und durchzogen von den weißen Trockensteinmauern, ist man plötzlich in einer ganz anderen Welt.

 

Weißgekalkte Altstädte mit engen Gassen, stolze Masserien, zum Teil hervorragend restauriert, zum Teil zu Ruinen zerfallen, in der Landschaft verstreute Trulli, die sich in Alberobello zu einer Art Schlumpfhausen verdichten, antike Palazzi, römische Ausgrabungen und Dolmen und Menhire aus grauer Vorzeit. Und natürlich das Meer. Es umspült den Gargano mit seinen bewaldeten Felsen und den unendlichen Ebenen, bei denen ich immer an Iowa denken muss, obwohl ich noch nie dort war. Es umspült den Salent, flach, heiß, karg und verschwenderisch fruchtbar zugleich, und schafft Strände und Buchten, mal felsig und rau, mal kilometerlang und aus weißem Sand wie in den Tropen. Und dazwischen das Hügelland der Murgia mit seinen Wäldern und Obstbaumhainen.

Apulien ist das alles, die mitreißende Musik der Pizzica, die exzellenten Weine, die hervorragende Küche, ein Erlebnis für alle Sinne, das alle Besucher gefangen nimmt. Und trotz sozialem Wohnungsbau, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Umweltverschmutzung und all den anderen Problemen, die es hier wie überall auf der Welt, hier mehr, da weniger, gibt, wollen die meisten Apulier, die im Norden oder im Ausland arbeiten und wohnen, wieder zurück, und viele Ausländer kommen immer wieder oder ziehen gleich hier her. Ich will jedenfalls nicht mehr weg.