Mein Tamburin kommt aus Lecce

Endlich habe ich es mal wieder geschafft, einen der wunderbaren Artikel von QuiSalento zu übersetzen. Wer sie noch nicht kennt: QuiSalento ist eine Zeitschrift, die am Anfang jeden Monats erscheint und so gut wie alle Veranstaltungen, Ausstellungen, Konzerte etc. im Salent enthält. Wer den Salent besucht und ein bisschen italienisch kann, der sollte sie sich auf jeden Fall besorgen. Zu den Veranstaltungslisten gibt es jedesmal auch eine oder mehrere Reportagen, wie die über Helmut Dirnaichner (siehe Artikel) oder wie die folgende über die Herstellung der typischen Tamburine.

„E lu tamburellu meu vinne de Lecce…“ – So entsteht das Gegenmittel zu den Giften des Lebens

von Marina Greco

Gianpiero_esposizione
Gianpiero Donno’s von Hand hergestellte Tamburine

Er lässt die Stadtplätze tanzen und ist sich dessen, vielleicht, nicht einmal bewusst. „E lu tamburellu meu vinne de Lecce. Na mo jata ci lu sona e ci lu sente!“ Mein Tamburin kommt aus Lecce, Glücklich der, der es spielt und der es hört, also aber wer stellt es her, in diesem Lecce, das Tamburin? An der Virtuosität des Musikers, der sich in ein rhythmisches Solo stürzt und blutet angesichts des stundenlangen Schlagens auf das Fell, an der Zartheit der Schellen, gestreichelt für eine Serenade, an der Fröhlichkeit des Taktes, diktiert von einer Hand, die den Stimmen in einem Gewirr von Strophen folgt: all dies sind die Dinge, an denen sich Gianpiero Donno inspiriert und nach denen er erschafft. „Fabrikant“ von Tamburinen, wenn man so sagen darf, ist er „tamburellaro“, Tamburinmacher, aber er ist auch Höhlenforscher, allgegenwärtiger Fotograf auf den Plätzen, den Lokalen, auf den Bühnen des Salent. Und auch Landwirt, dessen Maulbeerbäume auf dem Land zwischen Lecce und San Pietro in Lama, den Sommerfesten mit den Freunden Geschmack verleihen.

Und dennoch, bis vor zehn Jahren war sein Leben ein „Adagio“, ein langsamer Prolog im Schritttempo, eine Ruhe, die geduldig den Auftakt zur „Fuga“ abwartete. Er verbrachte die Tage im Zeitschriftenkiosk der Familie, der Straße folgend, die ihm von seiner Familie nicht ohne Opfer vorgezeichnet worden war, Tage und Zeitungen durchblätternd bis er eines abends beschloss, zu einer dieser Abendveranstaltungen zu gehen, von denen so viel in den lokalen Tageszeitungen geschrieben wurde, dort in der Grecìa (Anm. d. Ü. gemeint ist die Grecìa Salentina, eine bis heute stark griechisch geprägte Gegend des Salent). Es war das Fest der Pizzica di Sternatia, der erste von drei Abenden, der Wendepunkt seiner Existenz. Er kehrte auch die darauffolgenden Tage zurück, und lernte so Biagio Panico an seinem Tamburin-Stand sowie Daniele Bene und Dory De Pascalis von den Meramenhir kennen. Nachdem er einen Kurs besucht hatte um zu lernen, dieses faszinierende Instrument zu schlagen, suchte Gianpiero den inzwischen befreundeten Biagio in seinem Geschäft auf. Dieser schenkte ihm beim Abschied einen Holzstreifen und eine Haut: „Mach Dir selber eins“, sagte er. Und er machte sich selber eines, stellte es im Zeitschriftenkiosk aus und in wenigen Tagen war die erste Frucht seiner Berufung, der „Ruf“ war noch nicht in Gänze erschallt, bereits verkauft. Es war ein Lichtstrahl im Leben, vielleicht zu sehr ergraut von der Druckerschwärze der Zeitungen, vom Alltag, das nun neue Rhythmen suchte.

Und so entstand in der kleinen Garage mit dem in Stein gehauenen Keller, im unaufhaltsamen und anonymen Verkehr des Viale Grassi in Lecce, am Ende einer Gasse mit einem Ficus und einem Zitronenbaum als Zeugen, die „Bottega della Tarantola“. Es war im Jahr 2000, der Millennium Bug hatte zugeschlagen.

Gianpiero Donno mit einem seiner Tamburine
Gianpiero Donno mit einem seiner Tamburine

Zehn Jahre später steht da nun Gianpiero, Jahrgang 1965, schüchternes Lächeln und wacher Blick, mit festem Händedruck und dem Stolz dessen, der dir sein Reich öffnet, selbst erschaffen und nach frischen Spänen und Sägemehl duftend: „Als ich anfing“, erzählt er mit dem Blick zurück auf diese Tage, „hatte ich nur einen Hammer, eine Prise Erfindungsreichtum und kein Geld“. Auf seiner Seite hatte er allerdings die Begeisterung dessen, der sich in ein neues Abenteuer stürzt.

Zwei kleine Räume, rundum zugepflastert mit Materialien, Maschinen und Apparaten, von Mal zu Mal erfunden, mit Erfahrung, mit Übung, mit Kreativität, eine umfangreiche Auswahl an Cds jeder Art, Kassetten und Kassettchen auf denen ungewöhnliche Namen stehen, rotierende Messer und ein Sammelsurium an verschiedenen Dingen: das ist die Werkstatt von Gianpiero.

Das Tamburin, magisches Gegenmittel, das die „Gifte“ des Lebens heilt, und das aus ihm einen geschickten Handwerker gemacht hat, ist nur Holz, Haut und Schellen, aber auch Geduld, Gehör und Pflege der Details. „Man fängt mit einem unbehandelten Streifen Buche an, dasselbe Holz, das manche noch benutzen, um die „Farnari“, die Mehlsiebe, herzustellen“ erklärt er, „das ziehe ich dann durch die Schneidemaschine“. So hat er ihn getauft, den Bohrer, auf den er die rotierenden Klingen montiert hat, und aus dem er die „Schulter“ und zwei schmale Streifen gewinnt, die dann dazu dienen, die Struktur von innen zu festigen. „Entsprechende Maschinen gab es, sicher, aber sie waren teuer und vor allem hätten sie hier nicht hinein gepasst.“

Wenn sich seine Klang-Ringe anfangs beim Schließen überlappten, so ist Gianpiero mit den Formen in Eigenherstellung zu „Giottischer“ Perfektion übergegangen, „Kopf an Kopf“. Vierundzwanzig Stunden Ruhen mit Vinyl-Kleber und anschließend lässt sich das Innere mit zwei kleinen Streifen verstärken, die für einen weiteren Tag mit Klemmen fixiert werden. Für die Struktur braucht er also drei Tage. Das Buchenholz ist harzfrei und deshalb perfekt für diesen Zweck, manchmal schenkt es mit seiner Maserung auch die Möglichkeit, mit den Farben zu spielen. Nächster Schritt, die Löcher: Am Anfang machte er zwei Löcher und bearbeitete sie mit der Feile, dann hat er sich einen Pantographen besorgt, eine Fräse, die Präzision garantiert und Zeit spart. „Manchmal allerdings“, sagt er, während er uns einen anderen seiner Apparate vorstellt, „müssen es zwei Löcher sein, eins über dem anderen. Wie sollte das gehen? Im Halbschlaf hatte ich eine Eingebung“. Man muss nur in den Fernseh-Ecktisch hineinsehen, der zum Pantographen umfunktioniert wurde um einen Wagenheber zu erkennen der, dank eines Rädchens, hinauf- und hinunterfährt und schneidet. Es ist Zeit für das Schleifen und eine Tür, die einmal die einer Kredenz war, verbirgt den Motor der einst, in unverdächtigen Zeiten, eine Waschmaschine betrieb: „Ich nehme die Dinge, die die anderen nicht mehr brauchen“, lächelt er zufrieden den Gesprächspartner an, der mit offenem Mund seine Genialität erkennt. Es geht nun weiter mit der Haut vom Zicklein, die er zum Waschen und Trocknen aufs Land bringt, nachdem der Kalk das Fell abgelöst hat. „Je nachdem, welchen Klang man erreichen möchte, wird die Haut, die ziemlich dick ist, gewaschen bis sie mehr oder weniger dünn geworden ist“, erklärt er, „vor Jahrzehnten diente das Instrument der Trance, deswegen genügten das „Bum“ im Bauch und die Schellen im Ohr. Jetzt ist das Tamburin Musik, und die Kunden verlangen einen Ton, der mal tiefer und mal höher ist“. Aber erst die Erfahrung im Lauf der Zeit gestattet es, diese Dinge zu erfassen, die auf den ersten Blick Nebensächlichkeiten scheinen mögen. „Erst wenn die Haut auf dem Tamburin völlig getrocknet ist, entdeckt man seinen eigentlichen Klang“, erläutert der Meister, „und er wird nie dem eines anderen gleichen, weil jede Haut ihre eigene Geschichte hat“.

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Ein Blick in die Werkstatt von Gianpiero Donno

 

Zuletzt kommt der Moment der Schellen, die Gianpiero, selbstverständlich, aus Öl-, Kaffee- oder Tomatdendosen selber macht, Hauptsache sie sind aus Weißblech, Blech mit einem Anteil Stahl. Auch die Entscheidung, sie zu lackieren oder zu brennen, sie zu biegen um ihnen Frequenzen zu nehmen oder sie völlig glatt zu lassen, ist eine Frage der Akustik. Und er weiß es genau, heute, wo er zu seinen treuesten Freunden und Musikern (hier „klingt“ der Begriff Kunde wirklich unangebracht), die bekanntesten Gesichter und schlagenden Hände der Salentinischen Volksmusik-Szene zählt wie Roberto Chiga, Giancarlo Paglialunga, Enza Pagliara, Anna Cinzia Villani, Mauro Durante, Danilo Andrioli oder, der „quengeligste“ von allen, Fiore Maggiulli, für den „Du mindestens zehn Tamburine bauen musst, und erst am Ende wird er sich seines darunter aussuchen“. Ihnen und vielen anderen Künstlern hat er außerdem seine besten Schnappschüsse gewidmet, mit seinem angeborenen Talent, Blicke, Hände und Gefühle einzufangen, die Teil der umfassenden Sammlung sind, in der er zehn Jahre Leidenschaft für die Volksmusik verewigt hat.

In der „Bottega della Tarantola“, wo in der Freizeit „cupe cupe (Anm. d. Ü.: ein Hohlgefäß mit einer Abdeckung aus Tuch, Haut o.ä. mit einem hohlen Schilfrohr in der Mitte. Der Ton entsteht, in dem man mit der feuchten Hand das Rohr entlangstreicht. Der Klang variiert je nach Material und Beschaffenheit des Gefäßes und der Abdeckung sowie der Länge des Schilfrohrs) und salentinische Kastagnetten hergestellt werden, gibt es einen weiteren Raum, aber man muss unter die Erde gehen, in den ehemaligen steingehauenen Keller, Reich der imposanteren Maschinen und der Lackierung derjenigen Tamburine, deren Holz sich für Grün, Blau, Ziegelrot anbietet. Aber Gianpiero, leidenschaftlicher und erfahrener Höhlenforscher, ist es gewohnt in den Mäandern der Erde zu rutschen, sich in die Fänge der dunklen und tiefen Grotten hinabzulassen, er, der das Glück hatte, einer der wenigen zu sein, die die „Grotten des Pferdes“ in Portoselvaggio betreten haben, oder die der Hirsche in Porto Badisco, wo er für unbestimmte Zeit blieb und den „tanzenden Gott“ betrachtete. Dasselbe Symbol, das er in sein erstes Tamburin eingeritzt hat, eifersüchtig gehütet in einem Ausstellungsraum in der Nähe, genau neben dem Zeitschriftenkiosk, wo, immer noch da, sich eine Erinnerung an vergangene Zeiten befindet, das Tamburin, das er seinem Freund Biagio an einem Septemberabend abkaufte und das, seit zehn Jahren, den Rhythmus seines neuen Lebens schlägt.