Zwischen Ule, Antille und Reef: in Lecceser Kalkstein gemeißelte Erzählungen

Valeria Raho von QuiSalento hat einen der ersten Künstler der Pietra Leccese, des Lecceser Kalkstein, besucht:

Zwischen Ule, Antille und Reef: in Lecceser Kalkstein gemeißelte Erzählungen

von Valeria Raho

Bildhauer Renzo Buttazzo

Wenn seine Werkstatt eine Skulptur wäre, dann wäre sie „Ule“. Drei verschobene Rechtecke, in einem Eckchen grün liegend. Wenn sie ein Ort wäre, wäre sie eine Insel. Ein Atoll aus Licht und stiller Luft, warm, unter dem Wendekreis des Krebs. Wenn sie ein Gegenstand wäre, wäre sie Staub, feinster Puder, hell und milchig. Wenn sie ein Ton wäre, wäre sie die Brandung der Wellen. Oder vielleicht doch nicht, eher das Kratzen von Eisen gegen Stein, ein Violinschlüssel gibt den Takt. Eins, zwei. Eins, zwei. Vor und zurück. Zurück und vor, beinahe ein Atmen. Nachdem man mit Renzo Buttazzo in seiner Insel-Werkstatt in der Contrada Tangano in Cavallino gesprochen hat, wird alles klarer. Vorher hätte es keine zuverlässigen Orakelsprüche gegeben. Man kann in der Tat nicht sagen, man hätte „Petre“ (Anm. d. Ü. dialekt. für „pietre“, Steine – und gleichzeitig Name der Kollektion von Renzo Buttazzo) in der Tasche, bis man sich nicht mit dem Künstler in seiner Werkstatt trifft. Die einen sind das Spiegelbild des anderen, Kapitel aus seiner Biographie. Eine gemeißelte Erzählung. Eine einfache Holztür, daneben ein Schild, kennzeichnet das Anderswo von Buttazzo. Ein paar Schritte jenseits der Schwelle, und der Eindruck ist der einer anderen Dimension. Die Augen weiten sich im klassischen Fall von „was ich nicht sehe, glaube ich nicht“, aufgrund dessen man sich kaum vorstellen kann, was „Petre“ wirklich ist, auch wenn man versucht, sich davon eine Idee zu machen, indem man einen Blick in Designberichte und -zeitschriften wirft. Das Atelier ist eine Schrein aus blendend weißem Sand. Ein Ökosystem regiert mit ganz eigenen Gesetzen, verschlüsselt in der Zeit. Alles ist da, wo es sein soll oder schon immer war, in dieser Bottega mit den dünnen Wänden, jenseits derer der Nordwind, die Tramontana, heult.

Das Dach ist durchsichtig und das Licht scheint einmal opalfarben, einmal strohgelb hindurch auf das weiche Parkett, hergestellt mit derselben Art zu Feilen wie der Lecceser Kalkstein. Hier und da ein Orangenringel. Dann verweilt der Blick auf dem Tisch, überquellend vor Werkzeug, auf den eine Kletterpflanze hinunterregnet, weiß auch sie, wie um sich zu tarnen. In der Mitte, auf zwei Sockeln, erheben sich „Antille“ und „Ule“. Luft und Materie verschmelzen in diesen beiden rigoros von Hand gearbeiteten Skulpturen. Es handelt sich um einzigartige Stücke, im wortwörtlichen Sinn, Buttazzo kann sich nicht erinnern, je eine genaue Kopie einer seiner Skulpturen gemacht zu haben. Sammler aus der ganzen Welt kontaktieren ihn, um ihm diese oder jene Arbeit in Auftrag zu geben, wie „Reef“ zum Beispiel, ein Bouquet gewundener Wellen, kontinuierlich und düster wie die Brandung, oder „Eolo“, Skulptur aus Wind und Licht. Aber eines ist sicher: jeder von ihnen wird eine einmalige Skulptur bekommen.

Skulptur aus Lecceser KalksteinAlles rund herum ist gedämpft, kein Geräusch. Vielleicht wegen dem Weiß oder wegen der Stille, die die Contrada Tangano einhüllt, wenn Buttazzo nicht gerade den Stein bearbeitet. Es sind erst wenige Minuten vergangen, gerade genug Zeit, um sich umzusehen. Das anfängliche Gefühl der Unzulänglichkeit, ein Fremdkörper zu sein, vergeht schnell sobald Buttazzo anfängt zu erzählen, von sich zu erzählen. Dabei hantiert er mit den Geräten, verschiebt „Antille“ um ein paar Zentimeter, kneift die Augen zusammen um den Lichteinfall auf der Steinoberfläche zu prüfen. Eine Angewohnheit, die man im Nachhinein auf seine Vergangenheit als Kameramann zurückführen könnte, in seinem früheren Leben. Ante und post „Petre“. Das Leben von Buttazzo scheint von dieser präzisen Trennungslinie gezeichnet zu sein. Vor „Petre“, eine Arbeit im Bereich des Journalismus. Dann, der Instinkt, der Materie Form zu geben. Buttazzo beginnt per Zufall, den Lecceser Kalkstein zu bearbeiten. „Als Anfänger“, gesteht er, „brauchte ich ein Material, das günstig zu bekommen war und bis vor ein paar Jahren war der Lecceser Kalkstein der billigste auf dem Markt. Manchmal wurde er mir sogar geschenkt. „Renzo, hier, für dich. Nimm ihn“, sagten sie. Und er nahm ihn, höhlte ihn aus, schnitzte ihn, erforschte ihn und nach ein oder zwei Stunden legte er ihn weg. Und begann dann von neuem. Alles mit einem Schraubenzieher. Ein paar Jahre später die erste Uhr in Lecceser Kalkstein, „jetzt gibt es sie auch im Supermarkt zu kaufen“ unterstreicht er mit einem bitteren Lächeln, gemischt mit Befriedigung, denn, wie ihm häufig ein Gallerist sagte, um ihn zu bestärken, „wenn sie dich nicht kopieren, bist du niemand“. Die Idee kam ganz plötzlich, erzählt er: „Als ich das Ziffernblatt geschnitzt hatte, bin ich nach Mailand gefahren, um einen Mechanismus aus Plastik zu kaufen, und fertig war die Uhr“. Einfacher gesagt als getan (und kopiert…). „Tja, weil“, stellt er fest, „das ist das schöne (und das hässliche) der zeitgenössischen Kunst. Diese Einstellung die, als Besserwisser, dich dazu bringt zu sagen: das könnte ich auch. Aber es ist die Idee, die den Künstler ausmacht, nicht umgekehrt“. Und der bittere Geschmack im Mund verschwindet.

Ideen hatte er viele, Buttazzo, so wie wichtige Anerkennungen übrigens auch. 1986 ist seine die erste Handwerks- und Experimentierwerkstatt für Lecceser Kalkstein. Es ist seine Idee (und die von Andrea, „Schüler“ in den Sommerpausen), die Domain „Prete“ im Netz zu eröffnen, als man noch keine Vorstellung vom Potential des E-Commerce hatte. Seine Idee der Showroom in Via Palmieri, als sie noch nicht als „Straße der Künstler“ bekannt war. Seine Idee, diese Räume „wild“ zu lassen. Das abgenutzte Parkett, die bröckelnden Wände, die Feuchtigkeitsflecken. „Jedes Detail musste sich den Skulpturen unterordnen“, erklärt er. „Wer die Nummer 49 betrat, sollte von den Schatten und Lichtern, die auf den Wänden spielten, verzückt werden. Nicht von der ausgesuchten Einrichtung. Das hätte die Aufmerksamkeit verschoben. Das interessierte mich nicht“. Die Vergangenheitsform für „Petre“ ist mittlerweile zwangsläufig: der Showroom hat im Herbst dicht gemacht und jetzt, wenn ein Sammler oder ein Filmteam (BBC, um nur eins zu nennen) beschließt, ihn zu besuchen, empfängt Buttazzo sie alle in der Contrada Tangano, sein weißes Reich, wo die einfachen und essentiellen Formen seiner Skulpturen entstehen.

„Das ist meine Insel. Um zu arbeiten, muss ich nur die Gedanken vor dieser Tür lassen“, deutet er mit der Raspel und lächelt, wenn er von der „tödlichen Bürokratie“ spricht, von den Komplikationen des Alltags, die langsam und schleichend die Inspiration schwächen. Wie sollte man ihm Unrecht geben. In der Zwischenzeit beginnt die Feile, sich auf der geglätteten Oberfläche von „Ule“ zu bewegen, auf dem Sockel vor ihm. „Wenn mich die Gedanken verschlingen, mache ich die Feinarbeit“, sagt er. In der Zwischenzeit schwebt ein ungewohntes Geräusch in der Luft im Konzert mit dem Staub. Und das ist nicht einfach irgendein feiner Staub, sondern Lapilli aus Materie, die sich auf dem Boden in Sand verwandeln, der bleibt und alles ergreift. „Der Stein klingt“, kommentiert er, „und gerade aufgrund des Tones kann ich feststellen, ob ein Werk fertig ist, oder nicht. Wenn es nicht so wäre, könnte ich bis in alle Ewigkeiten weitermachen“. Und bis in alle Ewigkeiten könnte man hier stehen und diese Skulpturen aus Licht und Schatten bewundern, diese kaum wahrnehmbaren unvollkommenen, weil lebendigen, Formen. Die geometrischen Linien, die entstehen durch die konstante Wegnahme alles Überflüssigen. Zen, würde man heute sagen. Magie des Design, nach der Meinung von einigen. Und dennoch, als Buttazzo anfing, den Lecceser Kalkstein wie Ton zu modellieren, vor ca. zwanzig Jahren, konnte er sich bestimmte Horizonte gar nicht vorstellen.

Skulptur in Lecceser Kalkstein Das Klopfen an der Hintertür einer Italienischen Dogge mit schmachtenden Augen ist die Gelegenheit, einen weiteren Teil der Werkstatt zu besichtigen, ein kleiner Steinbruch unter freiem Himmel. Hier begegnet man dem Lecceser Kalkstein in seiner Reinnatur, seine Majestät die Steinschicht. Massiv, quadratisch, kantig. Aus dem Gedächtnis taucht „Vulca“ auf, ein Evergreen der Kollektion von Buttazzo, immer bei „Antille“, und man kann kaum glauben, dass aus diesen amorphen aufeinandergeschichteten Stücken so klare, essentielle, minimalistische Formen entstehen können. „Jedes Werk“, erklärt er, „ist von Hand gearbeitet, eines nach dem anderen“. Tatsächlich, die einzigen Werkzeuge, die er in seinem Atelier zulässt sind dieselben, die von den Steinmetzen der vergangenen Jahrhunderte benutzt wurden und sie sind alle hier, gut sichtbar an den Wänden aufgehängt oder aus Bequemlichkeit in einen Holzblock neben der Tür geschlagen: da sind die Äxte, die Raspeln, die Skalpelle in allen Größen und Formen, das Schleifpapier, die Hammer, die Sägen mit dem gezackten Sägeblatt, zusammengehalten von ein paar Runden Klebeband, eine seiner Erfindungen. Zu Füßen der Blöcke, ein aus Steinstaub kalzifiziertes Stillleben. Man geht um die Werkstatt herum. Man betritt das Büro. Ein Computer mit Internet und oben, eingerahmt, der Titel „Cavaliere del lavoro della Repubblica Italiana“, der Verdienstorden der italienischen Republik für seine Arbeit, empfangen aus den Händen von Carlo Azeglio Ciampi, mit nur 38 Jahren. Im Rücken seine Trophäen, die echten: „Comoda“, eine ergonomische Chaise Longue, geschwungen wie ein Komma; „Totem“, „Anemoni“, „Dormienti“, auf die Regale gebettet. Jede Skulptur, manchmal von unkundigen Kunden mit Plastik, Ton (oder sogar Glas) verwechselt, hat einen Namen, der an eine Reise erinnert, eine Erde, einen Archetyp, mit den Augen von der Natur gestohlen. Ratet welches aus Tulum in Mexiko kommt, zu Füßen der aztekischen Ruinen. Welches aus dem Korallenriff am Äquator. Welches sich an der salentinischen Landschaft inspiriert „eine der schönsten der Welt“ gesteht er. Aber letztendlich ist es egal. Es genügt, seine Insel zu betreten, wenigstens für einen Tag, um in achtzig Skulpturen (und mehr) um die Welt zu reisen.