Die erste Fahrt nach Apulien – Stephan Winkler

Wie kommt ein Schweizer Historiker dazu, ein kulinarisches Buch über Apulien zu schreiben? Das war meine Frage an Stephan Winkler, den Autor von „Apulien –  Entdecken und genießen im Tal der Trulli“. Herr Winklers pragmatische Antwort war die Erlaubnis, das Vorwort zu seinem Buch zu veröffentlichen. Hier ist seine Geschichte (mit freundlicher Genehmigung des Werdverlag):

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Ein Blick ins Buch: Apulien – Entdecken und genießen im Tal der Trulli

Vor langer Zeit sprach ich als Gymnasiast an einem Familienfest mit meiner entfernten englischen Tante Christine, die mich wegen ihrer Hippievergangenheit faszinierte. Sie erzählte mir von ihrer Reise nach Indien und wie sie auf der Heimfahrt über Italien auf dem Weg nach Griechenland in diesem abgelegenen Tal gelandet sei, in dem eigen- und urtümliche Häuser aus Stein mit ihren Kuppeldächern stünden. Die Trulli. Schon dieses Wort war magisch. Sie hätte sich damals – 1969-  mit einer Freundin eines gekauft. Ich könne ruhig mal hinfahren. Sie gab mir eine Wegbeschreibung und erklärte, wo der Schlüssel zu finden sei. Im nächsten Sommer machte ich mich mit einem Schulfreund auf den langen Weg im Liegewagen, Sechserabteil, speckig-braune, ausziehbare Kunstlederliegen, ein Gemisch aus Schweißfüßen und -hemden, aber mit Wurst und Wein der mitfahrenden Heimkehrer.

In Bari stiegen wir auf den Regionalzug um, damals noch diese hölzernen Wagons, bei denen jedes Abteil eine eigene Tür nach außen besaß und die feldgrauen schweren Vorhänge noch an richtigen Vorhangstangen befestigt waren. Die Mitreisenden und die Betonwüste aus Wohnblocks und Industriebauten um Bari wurden weniger, die Luft würziger. Mit wehenden Haaren fuhren mein Kumpel und ich in eine andere Welt. Rote Erde, Trockensteinmauern, mächtige Oliven- und Feigenbäume, glühende Hitze und ein Meer so blau, wie man es sich nur vorstellen kann. Fast am Ende der Welt, so kam es uns vor, schepperte es näselnd aus dem Lautsprecher: «Cisternino, stazione mare». Das Dorf gut 10km entfernt hinter dem Hügel, der letzte Bus vor einer Stunde. Autostopp, Fußmarsch und wieder Autostopp. Im Dorf erstanden wir uns beim Schrotthändler ein klappriges Mofa aus den 60ern, und nach vier Stunden mit mehr Schieben als Fahren fanden wir endlich das Haus. So kam ich zum Virus Apulien. Am nächsten Morgen weckte uns der Bauer Lucio, der das umliegende Land bebaute: Wenn wir einmal im Tag mit der Gießkanne die Tomaten und Gurken auf dem Feld gössen, könnten wir davon essen, so viel wir wollten. Die Tomaten waren nicht halb so groß wie jene zu Hause, aber mehr als doppelt so gut, die Gurken waren kugelrund und leicht behaart, und der Käse und das Brot der Bauersfrau … unvergleichlich. Ich glaube, auf dieser Reise wurde ich erst richtig abgestillt, weg von Muttermilch und Fischstäbchen hin zu richtigem Geschmack.

Viel später, als ich mein Studium mit einem Lizentiat über die Trulli und das mittelalterliche Wirtschaftssystem im Valle d’Itria abgeschlossen hatte, nachdem ich mit besagtem Kumpel eine Kleinkellerei gegründet und mit einem der ersten einheimischen Freunde, dem Koch Sergio d’Aversa, eine Unzahl apulischer Abende mit authentischer Hausmannskost in der halben Schweiz veranstaltet hatte, wurde ich anscheinend ansteckend. Ein befreundeter Fotograf, Jörg Wilczek, war nach der Durchsicht meiner damaligen Ferienfotos derart neugierig geworden, dass ich mit ihm hinfuhr. Langsam reifte das Projekt eines Buches. Ich wollte mein historisches Wissen weitergeben, er einen Fotoband machen, und Familie und Freunde wollten die Rezepte meiner Apulienabende. So entstand im Laufe eines Jahres ein kulturhistorisches Kochreisefotoreportagebuch mit traditionellen Familienrezepten der Bevölkerung des Trullitals. Kommen Sie mit uns, wir fangen nochmals in Monopoli an, wo die Betonwelt aufhört und das Ende der Welt einen würzigen Atem hat. …“

Ich wette, auch Ihr riecht und schmeckt förmlich Eure erste Fahrt nach Italien! Wenn Ihr Eure Apulienfahrt kulinarisch vor- oder nachbereiten wollen, dann könnt Ihr Herrn Winklers Kleinod, denn nichts anderes ist dieses Buch, hier bestellen*.

Und natürlich freue ich mich über Eure Berichte in den Kommentaren!

Nachtrag:  Ich hatte die Ehre und das Vergnügen, mich später auch persönlich mit Herrn Winkler in Cisternino treffen zu dürfen und er erzählte mir über und aus seinem Buch. Ein unglaublich bereicherndes Treffen, für das ich mich an dieser Stelle auch noch einmal bedanken möchte. Selten habe ich soviel Kompetenz, Witz, Einfühlungsvermögen, Beobachtungsgabe, Präzision und Leidenschaft in einer Person kennengelernt. Sein Buch ist in jeder Hinsicht ein Meisterwerk, alle Orte und Fakten sind liebevoll und gründlich recherchiert und selbst erlebt. Die Rezepte sind wertvolles lokales Kulturgut, und bei vielen habe ich mich gefragt, wie um alles in der Welt er sie den Einheimischen entlocken konnte (ich lebe seit mehr als zehn Jahren hier und habe mittlerweile auch eine reichhaltige Sammlung, aber es gibt Spezialrezepte, die die Leute einfach nicht rausrücken wollen). Und nicht nur das, er hat sie auch so kommentiert, dass sie auch mit mitteleuropäischen Zutaten gut nachkochbar sind. Dazu gibt er schöne Anregungen für nicht alltägliche Ausflüge. Insider-Apulien vom Feinsten, mit wunderbaren Fotos von Jörg Wilczek, das dem Leser die Valle d’Itria so nahe bringt, als würde man sie selbst schon seit Jahren erkunden, Kochgenuss und Kulturgeschichte auf höchstem Niveau 🙂

Ein paar Rezeptvorschläge zum Ausprobieren:

– „Cartellate“ und „Orecchiette Cime di Rapa“ in der Rezension der Zürichsee-Zeitung, die mir freundlicherweise von Herrn Winkler persönlich zu Verfügung gestellt wurde: pdf-download

– „Polpette di Pane“. Dieses Rezept wurde mir freundlicherweise vom Werdverlag direkt zu Verfügung gestellt, dafür noch einmal herzlichen Dank. Pdf-download

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