Ich muss gestehen, dass es mir selbst etwas unheimlich ist: wie für alle gilt für mich die Gleichung Salent = Wein, und in den letzten Jahren immer mehr Salent = richtig guter Wein. Klar, man trinkt hier schon auch ab und zu Bier, vor allem zur Pizza oder auf der Terrasse mit Freunden, jeder halbwegs gut sortierte Supermarkt bietet mittlerweile auch Dutzende von in- und ausländischen Biersorten an, und irgendwo hinter Tarent gibt es sogar schon lange eine apulische Brauerei, aber da müssen die Salentiner schon immer selber lachen, wenn sie deren Produkte als Bier bezeichnen. Den Salent gleichzusetzen mit moderner, innovativer und qualitativ gehobener Braukunst, wäre mir bis vor kurzem sicher nicht in den Sinn gekommen. Aber man soll nicht voreingenommen sein, und seit in Brindisi vor ein paar Jahren ein Lokal mit angegliederter Brauerei aufgemacht hat, klingt die Kombination „Salent“ und „Bier“ schon gar nicht mehr so seltsam, sondern allmählich richtig interessant. Lesen Sie also exklusiv den Beitrag von QuiSalento:
Neue Aromen auf den Wegen des Geschmacks: Hier ist das Bier, das salentinisch spricht
von VALERIA NICOLETTI
Es war im Jahr 1994 in Genua, als der Beginn einer kleinen Revolution in der nach dem
nahen ligurischen Meer duftenden Luft lag. Dies ist die Geschichte von Raffaele Longo, Jahrgang 1973, junger Salentiner, schon immer begeisterter Bierverkoster, -kenner und -„forscher“, auch in einer Zeit, in der es im Salent keinen Platz für Getränke gab, die nicht Wein waren.
In diesem Jahr, das auf allen Etiketten seiner frischen „Geschöpfe“ gefeiert wird, im Andenken an eine unerwartete und mutige Wendung, veränderte sich etwas. Die Leidenschaft, müde vom nur Traum sein, verwandelte sich in ein Ticket für die Reise zurück in die Heimatstadt. Von Norden nach Süden, ein ungewöhnlicher Weg in Gegenrichtung, von Bologna, wo sich Raffaele wegen der Arbeit niedergelassen hatte und seiner Frau Mariangela gefolgt war und für ein paar Jahre seine Leidenschaft für das Bier zurück gestellt hatte, nach Lecce.
„Alles geschah in einer Buchhandlung in Genua“, erzählt Raffaele hinter dem Schreibtisch seiner Brauerei, ein gepflegtes und ordentliches Gebäude in Castromediano, einen Steinwurf entfernt von der Stadt, „dort bin ich über das wertvolle Buch von Michael Jackson gestolpert, nicht der Sänger“, präzisiert er lachend, „sondern der bedeutendste Bierexperte der Welt, der letztes Jahr gestorben ist und den Stab ausgerechnet an einen Genueser weitergegeben hat, Lorenzo Dabove, Künstlername Kuaska, größter italienischer Experte für belgisches Bier“. Ein Buch mit dem einfachen Titel „Bier“, das heute einen Ehrenplatz in seiner Fachbuchkollektion inne hat und das mit minutiöser Hingabe jede einzelne Handlung und Passage beschreibt, um zu Hause ein hervorragendes, von Hand hergestelltes Bier zu „fabrizieren“.
„Ich war schon immer ein Bierforscher“, fährt Raffaele fort, „als ich den Band von Jackson las, habe ich endlich beschlossen, zum „Homebrewing“ überzugehen“. Das heißt, die Kunst, Bier zu Hause herzustellen, und ein Haus-Braumeister zu werden. Vom Sagen zum Tun, Raffaele schritt also zur Tat, gestützt von Lektüre, Erfahrung, Kostproben und Studien. Und von seiner sehr wertvollen Flaschensammlung, ca. 1300 Stück, begonnen vor 17 Jahren, ausgefallene Behälter seit den 30iger Jahren, erstanden auf den Flohmärkten in ganz Italien, auch für teures Geld.
Und so, mit einem Diplom in Bankwirtschaft im Rücken, „aber mit einer Diplomarbeit über die Technologie im Bierherstellungsprozess“, einer Vergangenheit als Angestellter, zunächst im Familienbetrieb und später in der Bank, ohne eine einzige Erfahrung wegzuwerfen, kehrt Raffele in den Süden zurück, um endlich dem Bier seinen Charakter zu verleihen, seine Persönlichkeit. Eine wagemutige Entscheidung, aber weder ahnungslos noch verwerflich.
„Ich habe mich nicht als Brauer versucht“, ist ihm wichtig klarzustellen, „ich habe eine Ausbildung als Autodidakt und starte als Homebrewer, Hausbrauer, und verleugne nicht meinen Ausgangspunkt“. Dem später Ausbildungskurse, immer häufigere Teilnahmen an Verkostungen und Wettbewerben, bei denen er auch zahlreiche Siege davontrug, sowie Schulungen des Geruchs- und Geschmackssinnes folgten. Im Jahr 2006 fällt die Entscheidung, sich völlig dem Bier zu widmen, und von der häuslichen Herstellung zur kommerziellen überzugehen, aber unter Beibehaltung des handwerklichen Charakters des Herstellungsprozesses. So entstehen seine Biere, die ersten, die drei Schlachtrösser der Brauerei B94: Della Cava, Terra Rossa und Porteresa.
„Alle drei Biere sind eng mit dem Gebiet hier verbunden“, erklärt Raffaele, der, anstatt mit der Herkunft auf dem Etikett herumzuwedeln, und damit die schon all zu sehr strapazierte Marke „Salent“ auszunutzen, es vorzieht, die Ursprünge des Bieres im Aroma und in den verwendeten Zutaten zu verbergen.
Wir fangen an mit „Della Cava“, das hiesige Blanche, das sich an den klassischen hellen Bieren Belgiens orientiert, aber dessen Name sich eindeutig an den weißen Steinbrüchen der Pietra Leccese inspiriert, mit dem Duft nach Ginster, Koriander und Schale der Bitterorange, auf der Grundlage von Gerstenmalz, Hafer und Weizen, ein würziges Bier mit einer vagen säuerlichen Note, das ab dem nächsten Sieden mit salentinischem Getreide hergestellt werden wird. Dann, das „Porteresa“, ein entschiedenes „Robust Porter“ mit einem vollmundigen Geschmack, der Noten von Anis, Lakritze, Röstkaffee, Johanisbrotbaum und eingemachten Pflaumen in sich vereint, mit einem Namen, der auf poetische Weise den Biertyp mit dem Namen der Mutter, Teresa, kombiniert, die erste, die den starken Geschmack dieses sehr dunklen und undurchdringlichen Bieres zu schätzen wusste, der aber phantastisch zu den hiesigen Desserts passt. Zuletzt, das „Terra Rossa“, auch hier wieder ein Bezug zur Geschichte der salentinischen Bauern und der von Blut und Schweiß getränkten Erde, ein reines „Bitter“, ein „Ale“ bitter und süß zugleich, nach Keks, Haselnuss, weichem Karamell, Toffee und geröstetem Zucker schmeckend, das beim Wettbewerb der Unionbirrai (Bund der Brauer) 2008 den dritten Platz machte.
Salentinisch im Namen und in der Tat, das nächste Bier in Arbeit: das bernsteinfarbene „Mala Grika“, auf der Grundlage von Gerstenmalz und salentinischer Quittenkonfitüre, das ein Geschmackserlebnis nach frischem und eingemachten Obst schenkt, eine vielversprechende Neuheit für die Herbstsaison. So haben sich der Bier gewordene Erfindungsreichtum und Mut den anfangs „fremdelnden“ Biertrinkern präsentiert. „Das ist, weil der Markt „Gwasch“ will (Anm. d. Ü. dialektaler Ausdruck für dünne, trübe Flüssigkeit, Gewäsch)“, tut Raffaele kund, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, und klagt die blasierten Industriebiere an, die den Geschmack kommerzialisiert haben, die Zunge und Gaumen an anspruchslose und leichte Biere gewöhnt und zu flachen, charakterlosen Geschmäckern erzogen haben. Genau das, was seinen Bieren hingegen nicht fehlt, Frucht eines Wagemuts, der einen dazu bringt zu springen, auch wenn man den Grund nicht sieht, auch wenn der Erfolg alles andere als sicher ist. Schwierige Biere, kompliziert, Nischenbiere, die neugierig machen. „Es sind Biere, die man liebt oder hasst“, erklärt er.
Das Geheimnis liegt darin, die typischen Operationen des Industrieprozesses zu vermeiden, wie die Pasteurisierung und die Mikrofiltration, die die Besonderheit des Aromas töten und in die Masse der bereits bekannten, vertrauten Geschmäcker verbannen, die „runtergehen“ beinahe völlig ohne irgend eine Wertschätzung oder Befriedigung beim gepflegten Trinken zu wecken. Aber „der Mensch, den es nicht kümmert, welches Bier er trinkt, den könnte auch das Brot nicht kümmern, das er isst“, das ist die Richtlinie von Raffaele, und auch das Motto, das im Eingang der Brauerei hervorsticht, zwischen den Flaschen mit dem Etikett B94 und einem Teil der Kollektion, Vorspiel zum inneren Bereich des Fabrikgebäudes, Reich der noch fermentierenden Biere.
Hier läuft das Männchen des Mr. Malt auf den Malzsäcken herum, die in dem kleinen Lager aufbewahrt werden, um welches herum die Bierflaschen verweilen, bevor die Fermentation in der Flasche abgeschlossen ist, oder die neuen Mischungen in der Erwartung ausharren, den Test zu überstehen, der es erlaubt, den Produktionsprozess zu starten. Ein in Gänze handwerklicher Prozess, den Raffaele bis jetzt im Betrieb seines Brau-Freundes Donato di Triggianello durchführt, und der mit dem Schroten der verwendeten Getreide beginnt, normalerweise Gersten- und Weizenmalz. Das erreichte Produkt wird dann mit Wasser gemischt und auf 78 C° erhitzt. Die Masse wird jetzt das einzige Mal im gesamten Herstellungsprozess gefiltert und beim anschließenden Sieden mit Hopfen geimpft, besser gesagt mit dem weiblichen Auswuchs der Pflanze, mit einem bitteren und starken Geschmack, der eine antibakterielle Wirkung hat, aber vor allem die Süße des Malzes ausgleicht und bitterer und aromatischer macht.
Die Geschicklichkeit des Braumeisters liegt genau hierin, in der Mischung von Malz und Hopfen, von süß und bitter, damit ein Bier weder abstoßend noch zu gefällig schmeckt, sondern sowohl in den dunklen Tönen als auch in den süßeren Noten gewürdigt werden kann. Eine letzte Verfeinerung vor der Fermentation ist der Durchgang im Whirlpool, die Mühle, die die Masse in eine strudelnde Querbewegung versetzt, die es den letzten Unreinheiten erlaubt, sich auf dem Boden abzusetzen und so ein für alle Mal das „Quasi-„Bier zu reinigen. Nach dem Dekantieren geht es weiter mit der Kühlung, wachsam und schnell. „Stell Dir ein Heer von Hefen vor, bereit, das Bier anzugreifen“, erklärt Raffaele, „wenn man es auch nur eine Sekunde länger abkühlen lässt, ist der ganze Prozess ruiniert“. Sobald es abgekühlt ist, beginnt das Bier zu fermentieren und es werden nur vom Brauer ausgewählte Hefen zugelassen, die den Alkohol und die Kohlensäure entwickeln, die sich dann verliert. Das Bier durchläuft anschließend eventuell eine zweite Fermentation direkt in der Flasche und wird, wenn es gereift ist, auf den Markt gebracht. Ein Markt, der die Rezepte von Raffaele, natürlich geheim, zu schätzen scheint, und der in gerade einmal einem Jahr ausgesprochen positiv auf eine originelle und gewagte Wahl reagiert hat, nämlich die mittlerweile konsolidierten Vorlieben herauszufordern und ihnen sein „Geschmack in Evolution“ entgegen zu setzten, bescheinigt auf dem Etikett. „Das italienische Panorama des handgebrauten Bieres ist ziemlich fantasievoll“, bestätigt Raffaele, „aber die Gaumen scheinen immer noch wenig begierig darauf zu sein, neue Kreationen und besondere Aromen auszuprobieren“. Dennoch entmutigt das Raffaele nicht, im Gegenteil: er hat Rezepte und unglaubliche Aromen in Arbeit und in der Experimentierphase, ersonnen vom salentinischen Braumeister, um den anspruchsvollen Biertrinkern neue Abenteuer auf den Wegen des Geschmacks zu bieten, nie dagewesene Empfindungen für Mägen und Papillen, mit derselben Begeisterung von 1994, die, wie ein gutes Bier, einmal geöffnet, nichts von ihrer Spritzigkeit und ihrem Schwung verloren hat.